Samstag, 30. April 2016
Kapitel 1
"Tristan?" irgendjemand zischt meinen Namen. Ich brauche einen Moment um ins hier und jetzt zurück zu kommen. "Tristan, was ist los mit dir?" Erst jetzt merke ich, dass ich in die Ferne am starren bin, kein bisschen vom Thema mitbekommen habe und dem Dozenten schon seid längerem nicht mehr wirklich zuhöre. Ich drehe mich zu meiner Sitznachbarin Clara um, die mir unsanft ihren Ellenbogen in die Rippen gerammt hat. "Was?", zische ich sie an. "Du solltest wenigstens so tun, als würde dich der ganze scheiss hier interessieren. Der Vogel da vorne hat schon das zweite Mal sauer in deine Richtung geguckt. Wenn du das alles schon kennst, tu wenigstens so, als würdest du zuhören. Das ist echt peinlich!" zickt sie mich an. " Clara, reg dich ab." raune ich sie an. Clara verdreht die Augen und fängt an zu kichern. "Krieg dich wieder ein Tristan!" jammert sie und ich zwinkere ihr zu. Was bin ich froh, dass ich dieses sau langweilige Anwendertreffen nicht alleine überstehen muss. Jedes Jahr das selbe. Langsam hängt es mir echt zu den Ohren raus. Jetzt bin ich seid 3 Jahren FLL zertifizierter Baumkontrolleur und weiß langsam wie ich Bäume verorten muss und was das Programm so alles kann. Als würde sich in nur einem Jahr soviel ändern und selbst wenn, wofür gibt es das Internet und Newsletter? Aber gut, so kommt man wenigstens mal raus auch wenn diesmal nicht all zu weit. Da das Seminar in Maria Laach statt findet und somit nur knapp 30 km von meinem Wohnort entfernt liegt. Was wiederum auch was gutes hat, "liege ich heute Abend wenigstens bei mir zuhause auf der Couch und kann mir entspannt ein Bier genehmigen", denke ich so vor mich hin, als meine Rippen ein letztes Mal für diesen Tag von Claras Ellenbogen malträtiert werden. Genervt drehe ich mich erneut zu ihr um. "Was hab ich jetzt schon wieder angestellt?", frage ich sie. "Nichts", antwortet sie kokett und lächelt mich an, "das Seminar ist für heute um, wir können gehen." Wir stehen auf und gehen raus aus dem muffligen Raum, raus aus dem Gebäude an die frische Luft. Als ich tief die kühle Frühlingsluft in meine Lungen einsauge beäugt Clara mich merkwürdig. "Ist was?" frage ich genervt. "Ich kann einfach nicht den ganzen Tag in so einem stickigen Raum sitzen, mein Körper braucht frische Luft." murmel ich vor mich hin. "Nein, dass ist es nicht" lacht sie. "Ich wollte dich fragen, naja, meine Freundin Lilie hat heute Abend einen Auftritt mit ihrer Band auf einer Party. Hast du nicht Lust mit mir hin zu gehen?" stammelt sie rum. Was ist bloß los mit ihr, so wie sie sich anstellt könnte man glatt meinen, dass sie scharf auf mich ist. "Echt jetzt, Clara? Ich hab mich ehrlich gesagt auf einen ruhigen Abend auf meiner Couch mit einem kühlen Blonden gefreut." stöhne ich. "Ach jetzt komm schon!" strahlt sie mich an. "Auf der Couch kannst du noch liegen, wenn du alt und gebrechlich bist. Bier kannst du auch auf der Party trinken. Jetzt gib dir eine Ruck und komm mit!" Sie klingt schon fast beleidigt. Also denke ich kurz drüber nach und entschließe mich mit ihr zu gehen, immerhin hab ich ihr bisher so einige 'lass uns ein Bier trinken gehen' ausgeschlagen. "Gut, aber lange bleib ich nicht!" sage ich etwas muffeliger als es eigentlich klingen sollte. Aber was soll es, immerhin liegt ihr ja soviel an meiner Gesellschaft, dann muss sie damit klar kommen. "Au fein", schreit sie schrill auf, etwas zu schrill für meinen Geschmack. So ist Clara nun mal, schrill und sie plappert ohne Punkt und Komma. Zum Glück schafft sie es wenigstens im Seminar ihr Mundwerk zu halten. Auf dem Weg zum Parkplatz ist sie auf einmal merkwürdig still, dort angekommen wirbelt sie zu mir rum "Kommst du mich zuhause abholen und wir fahren gemeinsam hin?" fragt sie mich schmunzelnd und zieht eine Augenbraue hoch. Etwas verdutzt verdrehe ich die Augen und willige in ihren Vorschlag ein. "Super, dann sei um acht Uhr da", fügt sie noch schnell hinzu und macht sich glücklich strahlend auf den Weg zu ihrem Auto, welches sie am andere Ende des Parkplatzes geparkt hat. Ob das so eine gute Idee war bei Clara nachzugeben frage ich mich, als ich im Auto sitze und nach Hause fahre. Kaum habe ich die Musik aufgedreht, hab ich den Gedanken auch schon wieder vergessen. Ich erwische mich dabei wie ich den Text des Songs mit summe und meine Finger auf dem Lenkrad im Takt mit trommeln ... Good things will happen, Bad things will happen, too, Sometimes it's someone down the road, Sometimes it's somebody next to you, Enjoy it right now, Because you never know, When it's gonna end... ich muss kurz auflachen. Wie wahr dieser Text doch ist und somit habe ich doch einen guten Grund heute Abend mit Clara auf die Party zu gehen... Wer weiß was alles passiert. Zum Glück komme ich gut durch den Feierabendverkehr und es gibt auf dem Heimweg keinen Stau auf der Autobahn. Stadteinwärts ist es erstaunlich ruhig für einen Freitag Spätnachmittag. Als ich vor knapp vier Jahren nach der Uni hier nach Koblenz gezogen bin, habe ich das mehr wegen eines Tapetenwechsels gemacht und nicht gedacht sesshaft zu werden. Nicht das Göttingen kein schönes Fleckchen Erde ist, aber meine mich stalkende Ex hat es mir nicht gerade schwer gemacht Nordrhein-Westfalen zu verlassen. Allerdings vermiss ich doch hin und wieder die Uni und die Abende in den Kneipen der Stadt. Was war das eine verrückte Zeit, ich schüttle den Kopf und muss schmunzeln. Von weitem sehe ich schon, dass direkt vor meiner Haustüre ein Platz frei ist. Ich kann mein Glück kaum fassen. Die Parkplatzsituation in der Innenstadt ist echt zum kotzen, besonders mit dem Schiff -einen weißen Nissan NAVARA- den ich fahre. Nach dem ich mein Auto geparkt habe gehe ich noch schnell in den kleinen Lebensmittelladen um die Ecke und besorge mir ein paar Sachen für das anstehende Wochenende. Zuhause angekommen stell ich die Tüten auf dem Küchentisch ab und geh mich erst mal duschen. Mir hängt immer noch die stickige Seminarluft auf der Haut. Ich ziehe meine Klamotten aus und lasse sie im Schlafzimmer auf den Boden fallen, während ich ins Badezimmer gehe. Eine heiße Dusche ist jetzt genau das richtige, denke ich und öffne die Duschtüre. Mit den Händen an die Wand gestützt halte ich meinen Kopf unter den heißen Wasserstrahl und entspanne mich langsam. Nach einer gefühlten Ewigkeit entschließe ich mich aus der Dusche raus zu gehen. Da mein Badezimmer nicht besonders groß ist, steht der Nebel des heißen Wassers im Raum und ich reiße erst mal die Türe zur Dachterrasse auf. Mit dem Handtuch um die Hüften stapfe ich zurück ins Schlafzimmer und krame Klamotten aus dem Schrank. Ich entscheide mich für eine schwarze Röhrenjeans und ein weißes T-Shirt. Zurück im Bad wische ich mit dem Handtuch den Spiegel frei und gel mir die Haare. "Wieso sind das einzig wilde an mir nur meine scheiss Haare", grummele ich vor mich hin und gebe den Versuch auf eine Frisur hinzubekommen. Meine Laune befindet sich hiermit auf dem Tiefpunkt. Bevor ich es mir doch noch anders überlege ziehe ich mir meine schwarz-weis karierten Vans an, nehme mir meine Schlüssel, stecke das Portmonee in die Hosentasche, greife den schwarzen Softshell und gehe runter zu meinem Auto. Die nächste Wohnung befindet sich eindeutig im Erdgeschoss, auch wenn die kleine Dachterrasse einfach nur perfekt ist mit der alten Zink-Badewanne in der Ecke. Mitten in der Stadt, ohne das die Nachbarn einen auf den Arsch gucken können. Trotzdem möchte ich nicht ewig bis in den dritten Stock rauf und runter laufen müssen. An meinem Auto angekommen wird mir bewusst, dass ich später wohl nicht mehr so komfortabel vor meiner Haustüre parken kann und ich stosse einen lauten Seufzer aus. Mittlerweile ist es kurz vor acht und ich muss echt etwas Gas geben um einigermaßen pünktlich bei Clara aufzukreuzen. Zum Glück muss ich keine Ortschaften abklappern und kann bis Höhr-Grenzhausen über die Autobahn fahren.

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